Komm in die Gänge!

Jahresmottos

Silvesterabend in Hamburg. Mit Tine [Name geändert], einer Freundin und damals noch Kommilitonin, ihrem Freund und einer weiteren Freundin geht es ans Vortrinken für die große Party, die das Jahr 2014 verabschieden und seinen Nachfolger willkommen heißen soll. Auf dem eigenen Zimmer mit billigem Fusel Trinkspiele zu spielen, ist eine einfache wie effektive Methode, sich zu einer ersten Stufe des Rausches zu verhelfen. Wir wollen erst nach dem Feuerwerk wirklich zur Party aufbrechen.

Wir sind so gut bei der Sache, dass, als wir schließlich zur Party losgehen wollen, ich es irgendwie schaffe, in der Lobby unserer Unterkunft auf ein Mädel zu stoßen, mit dem ich wenige Augenblicke später in einem anderen Raum mit Sofas und Billardtisch rumknutsche. Das zweite Rumgeknutsche meines Lebens. Und das zweite Rumgeknutsche unter Alkoholeinfluss. Erinnerung: verschwommen. Details: nicht mehr verfügbar. Verdammt. Tines Freund fragt mich, ob ich nicht hier bleiben will. Ich sage schließlich nein, und wir bewegen uns Richtung Party.

Am selben Nachmittag noch hatten wir ein Beethovenkonzert in der Elbphilharmonie besucht. Ich bin ja ein großer Beethoven-Fan. Aufgrund eigener Verplantheit (nicht nur meinerseits!) und weil wir in der Hektik den Haupteingang des Gebäudes nicht sofort finden (die neue Elbphilharmonie ist ja noch längst nicht fertig gebaut und die Ersatzräumlichkeiten schlecht beschildert), kommen wir fast nicht mehr rein. „Der Komponist hat selbst verfügt, dass bei Konzerten kein Nacheinlass stattfinden soll“, bekommen wir gesagt. Kurz darauf kommt eine Info von oben rein: Nacheinlass. Puh. Wir belegen irgendwelche Plätze, die wir gar nicht gebucht hatten. Aber immerhin sind wir drin und alle sind zufrieden. Ach ja, und die Musik war auch unbeschreiblich. Ich liebe die Neunte Sinfonie.

Ganz in der Nähe des Gebäudes, in dem das Konzert stattfand, hatten wir zuvor das Gängeviertel entdeckt. Ein sehr verstecktes, sehr alternatives Eck in ein paar verbundenen Innenhöfen, rundherum hohe Schickimickibauten. Der Gegensatz könnte kaum krasser sein. Um den Zugang zum Gängeviertel, der anscheinend mit einem Wahrnehmungsfilter* belegt ist, überhaupt zu bemerken, wurde ein großes, rundes, rot leuchtendes Schild mit der Aufschrift „Komm in die Gänge!“ an gut sichtbarer Stelle angebracht. Auch wenn im Innenhof fast nur noch geschlossene Läden und Lokalitäten anzutreffen sind, genehmigen wir uns einen Drink in der namenlosen „Eckkneipe“ neben dem Zugang zum Gängeviertel, die auch zu diesem gehört. Während wir den Barmann über das Viertel ausfragen, beobachten wir einen alten, bärtigen Herrn, der allein in einem Sessel im hinteren Bereich der Kneipe am Ofen sitzt und sich die fettesten rauchbaren Dinger dreht, die ich bisher gesehen habe. So etwas sieht man nicht so leicht in Dortmund oder Aachen!

Als ich nun, noch nichts von einem kurz bevorstehenden Rumgeknutsche ahnend, im Hamburger Hafen am Wasser stehe, mit Beethovens Musik im Ohr und Bildern einer wunderschönen neu kennengelernten Stadt vor Augen, das Feuerwerk erwartend, da komme ich ins Grübeln. Ich suchte schon den ganzen Tag nach einem Neujahrsmotto. Es sollte natürlich irgendwie zu mir passen und einen gewissen Wortwitz aufweisen, aber ich wollte mir nichts einfach aus den Fingern saugen. Ich musste mit ihm irgendwie schon einmal in Berührung gekommen sein, es sollte mich „von außerhalb“ erreicht haben, ohne dass ich zu dem Zeitpunkt gewusst hätte, dass es mein Motto werden würde. Ich freute mich, mit Tine und co. hier zu sein, dachte aber auch an die vielen Dinge, die noch vor mir lagen: Ich wollte noch mehr reisen, schließlich stand ich mit den Städtetrips ja erst am Anfang. Ich wollte vielleicht mal in beziehungstechnischer Sicht vorankommen. Ich wollte meine Wohnung in Aachen in den Griff kriegen – mehr dazu später – und auch die Konflikte in bzw. mit meiner Band gelöst bekommen – auch hier später mehr Details. Kurzum: Ich wollte Dinge angehen, die ich bisher nicht oder nur halbherzig angegangen hatte. Ich wollte mich selbst im neuen Jahr motivieren, antreiben, pushen, damit ………

Mit dem ersten Feuerwerk fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

……… damit ich endlich in die Gänge komme.

 

Und nebenbei bemerkt: Ein bisschen Knutschen war da echt ein schöner Start, wie ich finde.

 

Macht‘s gut! ☺

 

Euer Suchmann.

 

* Wahrnehmungsfilter kommen im Serienuniversum von „Doctor Who“ vor. Ich bin ja ein großer Doctor-Who-Fan. Ein solcher Filter bewirkt, dass wir nicht bemerken, dass etwas da ist. Unser Blick gleitet einfach darüber hinweg, als ob wir es nicht sehen wollten. Man kann ihn meistens nur überlisten, wenn man von außerhalb explizit auf das „weggefilterte“ Dings aufmerksam gemacht wird.